© verfasst von Sabine Gebhardt
24.08.2018
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Lorz,
ich nehme den von Ihnen verschickten Elternbrief zum Schuljahr 2018/2019 zum Anlass, Ihnen eine offene Rückmeldung von Seiten einer Mutter eines schulpflichtigen Kindes in Hessen zu schreiben.
Meine Tochter hat zum neuen Schuljahr die Grundschule beendet, und ist auf eine weiterführende Schule gewechselt. Das ist für mich Grund genug, um einmal Bilanz zu ziehen über die Grundschulzeit, und Ihnen diesbezüglich meine Feststellungen mitzuteilen.
Es war für mich als Mutter erschreckend mitzuerleben, wie sehr sich die schulische Bildung und Erziehung seit meiner eigenen Schulzeit zum Schlechteren gewandelt hat:
- Die Kinder lernen nicht mehr von Anfang an, die Wörter richtig zu schreiben (das Schreibenlernen nach Gehör ist eine Katastrophe).
- Die Kinder lernen keine deutschen Volkslieder mehr, wie z.B. „Die Gedanken sind frei“ oder „Geh aus mein Herz und suche Freud“.
- Die Kinder lernen keine Gedichte mehr auswendig, wie z.B. das Gedicht „Gefunden“ von J.W. von Goethe: „Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn ...“
- Die Kinder sprechen keine Schulgebete mehr.
- Die Kinder lernen keine handwerklichen Fertigkeiten mehr, wie z.B. das Häkeln, Sticken, Stricken, Hämmern und Sägen. Dabei gilt doch, dass wir mit den Händen die Welt begreifen.
- Die Kinder singen die Nationalhymne nicht mehr auswendig.
Die Schulen werden mehr und mehr den rein ökonomischen Verhältnissen untergeordnet. Die seelisch-geistige Ebene der Kinder wird nicht mehr angesprochen.
Die Charakterschulung kommt zu kurz, und die Herzensbildung fehlt total. Der Geist der Freiheit und die Freude am Lernen wehen schon lange nicht mehr in unseren Schulen.
Der Materialismus hat in der Erziehung wirklich erschreckende Ausmaße angenommen!
Wie helfen Sie als Kultusminister den Kindern und Jugendlichen eigentlich dabei, ihren Zusammenhang mit der geistigen Welt zu finden?
Fähigkeiten können sich aber nur aus einem freien Geist heraus entwickeln. Unsere Kinder müssen wieder lernen selbständig zu denken und zu fragen, damit sie überhaupt in die geistige Welt hineinkommen können. Wir stehen nun mal in der physischen Welt drinnen, und in der geistigen Welt, wie Rudolf Steiner so schön sagt.
„Das Zeitalter hat mir allen Geist aus der Seele genommen. Meine Seele dürstet aber nach Geist. Sie dürstet nach etwas Neuem, nach einer neuen Eroberung des Geistes. Solange dieses nicht in aller Ehrlichkeit und Wahrheit empfunden wird, solange kommt die Jugendbewegung nicht zu sich selbst.“ (Rudolf Steiner)
Gegenwärtig lernen die Kinder den in unserer Gesellschaft allgegenwärtigen Herz-Bypass kennen. Sie befassen sich ausschließlich mit dem Verstand und vernachlässigen das Herz. Es kann aber nicht nur um schulische Leistungen gehen, sondern es muss auch um das Wohlergehen unserer Kinder gehen. Wir betonen die Leistungen des Verstandes zu sehr, und lassen die Herzenskraft verkümmern, so dass viel Jugendliche nach Beendigung der Ausbildung unzufrieden, unerfüllt und richtungslos sind.
Wir brauchen wieder ein Programm der menschlichen Werte als geistiger Kompass für das Leben, das wir den Kindern in den Schulen mitgeben:
Aufrichtigkeit * Korrektes Handeln * Liebe und Empathie * Friedfertigkeit * Menschlichkeit
Es ist klüger, die positiven Kräfte zu stärken, anstatt die negativen Kräfte zu bekämpfen. Wenn der Herzenskraft und der Menschlichkeit in der Erziehung wieder Raum gegeben werden, dann brauchen Sie auch keine Gewaltpräventionsprogramme mehr auflegen.
Freundliche Grüße, Sabine Gebhardt
Anm. von mir:
Dies ist ein sehr schöner Brief, der in normalen Zeiten wohl Gehör finden könnte. Aber heute dürften auch die Kultusminister derart von transatlantischer Gehirnwäsche inflationiert sein, so zu befürchten ist, daß diese Worte gar nicht verstanden werden - einfach deshalb, weil sie mit dem Herzen nicht mehr erfasst werden. Das ist die wahre Tragödie in diesem Land.